07: Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache!

04. Mai 2022

Ich habe heute diesen offenen Brief von Daniel Kehlmann, Marina Weisband, Sascha Lobo und vielen anderen unterschrieben. Er ist quasi der Gegenentwurf zu dem offenen Brief von Alice Schwarzer, Harald Welzer und Co. Und ich rufe alle auf, den hier verlinkten offenen „Gegenbrief“ zu lesen, darüber nachzudenken und ggf. ebenfalls zu unterschreiben.

Ich schätze Harald Welzer sehr. Seine Arbeit „Opa war kein Nazi“ war für mich eine entscheidende Inspiration, mein Buch „Mein Großvater im Krieg“ zu schreiben, und ich bin sehr froh, ihn bei verschiedenen Konferenzen kennengelernt und mich mit ihm ausgetauscht zu haben. Auch mit seinen Büchern über den Klimawandel hat mich Harald Welzer oft inspiriert. Alice Schwarzer wiederum hat mir sehr freundlich geschrieben und gratuliert, nachdem sie mein Großvater-Buch gelesen hatte. Mit den Argumenten ihres offenen Briefes liegen die Beiden und ihre Mitstreitenden nun aber meiner Meinung nach falsch.

Sie schreiben, man solle dem russischen Präsidenten Putin nicht durch die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine „sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln“ liefern. In meinen Augen macht Herr Putin deutlich klar, dass er für das verbrecherische Handeln, das er schon lange praktiziert, keine Motive oder Vorwände braucht, sondern dass er gemäß seiner Weltsicht handelt und sich Vorwände zur Not selbst schafft. Das sieht man meiner Meinung nach alleine an seinem immer wieder wiederholten, irrsinnigen Topos, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen – einen Staat mit einer demokratisch gewählten Regierung und einem jüdischen Präsidenten. Auch das von ihm stets vorgetragene Ziel, die russischsprachigen Menschen in der Ukraine verteidigen, schützen, „befreien“ zu wollen, ist angesichts der Zerstörung zahlreicher Städte mit mehrheitlich russischsprachigen Einwohnern + der zahlreichen Ermordung ebendieser hinfällig. In dem verlinkten, von mir unterschriebenen offenen Brief heißt es: „Wer einen Verhandlungsfrieden will, der nicht auf die Unterwerfung der Ukraine unter die russischen Forderungen hinausläuft, muss ihre Verteidigungsfähigkeit stärken und die Kriegsfähigkeit Russlands maximal schwächen. Das erfordert die kontinuierliche Lieferung von Waffen und Munition.“ Ich teile diese Ansicht.

Denn – so ein weiteres Argument von Alice Schwarzer, Harald Welzer und Co. – ob „selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor (…) irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis“ steht zum „Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung“, möge meiner Meinung nach die von Vernichtung bedrohte Nation doch bitte selbst entscheiden… Von einem „russischen Gegenschlag“ im Falle westlicher Waffenlieferungen zu sprechen, ist zudem endgültig eine Täter-Opfer-Umkehr – Russland ist in diesem Krieg unwiderlegbar der Aggressor, und ich lehne Formulierungen ab, die in diesem Punkt Interpretationsspielraum bieten.

Darüber hinaus lassen Alice Schwarzer, Harald Welzer und Co. in ihrem offenen Brief einen Vorschlag vermissen, wie der „Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können“ aussehen könnte. Aus Sicht der Ukraine kann vermutlich ein akzeptabler Kompromiss nur sein, dass russische Truppen nicht mehr weite Teile des ukrainischen Territoriums besetzen, die Städte und Infrastruktur des Landes in Schutt und Asche bomben, Zivilisten vom Fahrrad schießen, gefesselte Gefangene exekutieren, morden, plündern, vergewaltigen, brandschatzen sollten. Freiwillig oder auf bloßes gutes Zureden und Bitten wird Russland dies meiner Meinung nach aber wohl kaum tun.

Ich habe selbst natürlich auch Angst vor einem (Atom)Krieg und einer weiteren Eskalation des Konflikts. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass der Westen inklusive Deutschland zumindest in Putins Wahrnehmung schon längst zu den Kriegsparteien zählt. Darüber sollten keine Illusionen bestehen. Zudem kann die Lösung meiner Meinung nach nicht darin bestehen, über den Kopf der verzweifelt Widerstand leistenden Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg zu entscheiden, was für uns persönlich gerade am verträglichsten ist.

Dennoch denke ich auch, dass wir neben militärischer Hilfe und Waffenlieferungen auch an anderen Stellen noch stärkere Anstrengungen unternehmen sollten, um auf das Ende dieses Konflikts hinzuwirken. Ich denke zum Beispiel an

  • politisches Asyl für russische Deserteure sowie eine groß angelegte, direkte Ansprache, die zum Desertieren aufruft;
  • Finanzierung von unabhängigen russischsprachigen Medien durch geflüchtete Journalistinnen und Journalisten, die der russischen Staatspropaganda etwas entgegensetzt (eine Art Radio/Fernsehen/Internet Freies Russland)
  • gezielte Ansprache und Einbindung der russischsprachigen Bevölkerung im Westen – wer hier lebt und die Vorzüge unserer freiheitlichen Gesellschaft und unabhängigen Berichterstattungen genießt, kann auf Verwandte und Freunde in Russland einwirken;
  • Verstärkung der Bemühungen, das derzeitige russische Regime international zu isolieren, vor allem intensiver Austausch mit China und Indien über diese Frage.

Natürlich liegt das alles nicht in meiner Macht. Was aber in meiner Macht liegt, ist zu signalisieren, welche öffentlichen Positionen ich unterstütze und welche nicht. Und den offenen Brief von Alice Schwarzer, Harald Welzer und Co. unterstütze ich explizit nicht – den hier verlinkten „Gegenbrief“ hingegen ausdrücklich. Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache!

Veröffentlicht von Moritz Pfeiffer

Radsport, Geschichte und Zukunft - das sind meine Themen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: