02: Braucht es eine neue Klimapartei?

03. Januar 2021

2020 traten Klimalisten bei mehreren Kommunalwahlen an, und für die Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2021 hat sich nun eine Partei neu gegründet: die Klimaliste BW. Weitere könnten in anderen Bundesländern folgen. Ist das nun gut oder schlecht für den Klimaschutz? Ich befürchte: ungewollt schlecht!

Wer oder was sind die Klimalisten? Höchste Priorität für die Klimalisten ist die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels, also die im Pariser Abkommen von 2015 vereinbarte Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf 1,5 Grad, gerechnet vom Beginn der Industrialisierung um 1850 bis zum Jahr 2100. In der Wahrnehmung der Klimaliste BW hat laut Website „keine der bisher angetretenen und gewählten Parteien (…) diese Notwendigkeit so stark verinnerlicht, wie es angesichts der wissenschaftlichen Fakten notwendig wäre“. Aus diesem Grund möchte man mit einer „jungen und diversen Liste aus Wissenschaftler*innen und Klimaschützer*innen“ bei der Wahl antreten, um „durch parlamentarische Arbeit und Druck auf andere politische Akteure (…) Klimaschutz mehr Relevanz“ zu verleihen.

Steigbügelhalter für die CDU

Aus welchem Grund befürchte ich dennoch, dass Klimalisten bei Landtags- oder Bundestagswahlen mehr schaden als helfen? Ich gehe davon aus, dass eine Klimaliste einen Achtungserfolg erzielen und dennoch krachend an der Fünfprozenthürde scheitern würde. Und das bedeutet im Umkehrschluss nur: Die Klimaliste kostet Stimmen und Prozente, die an anderer Stelle für klare Mehrheitsverhältnisse und konkret umsetzbare Klimapolitik dringend gebraucht werden. Zwar betont die Klimaliste BW, von allen Parteien Wählerinnen und Wähler abwerben zu wollen, größter Stimmenlieferant wären aber naturgemäß die Grünen. Diese stehen in Baden-Württemberg zwar gut da – laut BW-Trend vom 17.12.2020 liegen die Grünen mit 35 Prozent deutlich vor der CDU (30 Prozent), und Ministerpräsident Kretschmann erfreut sich mit 77 Prozent hoher Zustimmungswerte, während gerade mal 24 Prozent mit der Arbeit seiner Herausforderin von der CDU zufrieden sind (die zudem 40 Prozent der Bevölkerung gänzlich unbekannt ist). Trotzdem steht auch die Option einer Deutschlandkoalition aus CDU, SPD und FDP im Raum – es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Klimaliste durch Wegnahme von einigen wenigen, aber wichtigen Prozentpunkten letztlich vor allem eins bewirken könnte: das Ende einer grün-geführten Landesregierung in Deutschland und eine Rückkehr zur CDU-Herrschaft im Ländle. Ich persönlich glaube nicht, dass dieser Umstand mit Blick auf den Klimaschutz die beste Lösung wäre.

Zwar beeilt sich die Klimaliste BW auf ihrer Website zu betonen, das Auftreten von Klimalisten habe mitnichten zu Stimmenverlusten im ökologischen Lager geführt und unterstreicht diese Behauptung mit Kommunalwahlergebnissen aus Erlangen, Kempten und Köln. Der Vergleich hinkt aber gleich in mehrfacher Hinsicht, denn in fast allen Bundesländern gibt es bei Kommunalwahlen keine Fünfprozenthürde, sprich: Kandidierende können je nach Wahlbeteiligung und lokalem Wahlrecht erheblich leichter Sitze ergattern als auf Landes- oder Bundesebene. Und dass bei Wahlen 2020 ökologische Parteien/Listen allgemein zulegten, ist wohl weniger das Verdienst der Klimaliste als das Ergebnis eines allgemein immer klimabewussteren Zeitgeistes, geprägt von u. a. drei Dürresommern in Folge, FridaysForFuture und einer zunehmend über den Klimawandel und seine Auswirkungen berichtenden Medienlandschaft.

Gäbe es eine Garantie, dass Klimalisten über die Fünfprozenthürde kämen, hielte ich ihre Existenz tatsächlich für sinnvoll, um weiteren Druck aufzubauen. Gemessen an der Dringlichkeit, auf den Klimawandel reagieren zu müssen, halte ich ihr Agieren aber schlicht und ergreifend für ein viel zu großes Glücksspiel – das verheerende Auswirkungen haben kann. Und ich plädiere dafür, trotz mancher Unzulänglichkeiten die Grünen als politischen Arm der Klimabewegung zu unterstützen.

Warum traue ich der Klimaliste BW nicht den Sprung über die Fünfprozenthürde zu? Die Partei wurde erst im September 2020 gegründet, bis Anfang Januar 2021 und somit zehn Wochen vor der Wahl konnten weder in allen Wahlkreisen Kandidatinnen oder Kandidaten aufgestellt werden, noch wurden genug Unterschriften gesammelt, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden. Vermutlich werden die formalen Anforderungen noch fristgerecht erfüllt, aber wie angesichts dieser Ausgangslage der Sprung aus der faktischen Nichtexistenz über die Fünfprozenthürde in den Landtag gelingen soll, ist mir schleierhaft – nicht zuletzt angesichts der immensen organisatorischen, finanziellen und personellen Anforderungen, die ein landesweiter Wahlkampf noch mit sich bringen wird. Angesichts der bereits bewiesenen Bereitschaft in Deutschlands Südwesten, ökologisch zu wählen, dürfte trotzdem ein gewisser Stimmenanteil zusammenkommen – aber eben nicht genug, damit die Klimaliste dem selbstgesteckten Anspruch gerecht wird. So droht sie letztlich, dem Klimaschutz ungewollt Schaden zuzufügen anstatt ihm zu dienen.

Genug alternative Handlungsmöglichkeiten

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich möchte die Leidenschaft und den guten Glauben und Willen, mit dem sich die Akteurinnen und Akteure von Klimalisten einsetzen, nicht abwerten – ganz im Gegenteil. Ich teile viele Ansichten und Ziele – ich halte aber den Weg von Parteineugründungen auf Landes- oder Bundesebene für falsch und sogar kontraproduktiv. Meiner Meinung nach haben in der Vergangenheit zahlreiche Zersplitterungen des politischen Spektrums sowohl auf der linken als auch der rechten Seite gezeigt, dass Parteineugründungen eher mit komplizierteren Mehrheitsverhältnissen, größerer Notwendigkeit zu Kompromissen und Verwässerung von letztlich konkret Erreichbarem einhergehen und dadurch auch zu steigender Politikverdrossenheit führen. Deswegen – und weil uns die Zeit davonläuft – bin ich überzeugt, dass die Klimabewegung an einem Strang ziehen sollte, anstatt sich zu verzetteln. Und dass es viele sinnvollere, zielführendere Wege gibt, sich für Klimaschutz zu engagieren.

In meinen Augen ist die Klimakrise so umfassend, dass sie nicht von einer einzigen Partei, Gruppe oder Interessengemeinschaft gelöst werden kann. Vielmehr ist ein partei- und gesellschaftsübergreifender Konsens nötig, die Krise als Krise zu begreifen, Lösungen zu formulieren und Klimaschutzmaßnahmen festzulegen, die wiederum von einer Mehrheit mitgetragen, geplant und umgesetzt werden müssen – auch gegen Widerstände. Ich persönlich engagiere mich aus diesem Grund bei der Klimaschutzorganisation GermanZero, die ein parteiübergreifendes Bündnis zur Verabschiedung eines 1,5-Grad-Klimaschutzgesetzes im Bundestag anstrebt. Die Liste der möglichen Betätigungsfelder ist aber lang – viele Organisationen, Einrichtungen und Parteien suchen händeringend motivierte und engagierte Mitstreitende. In der Regel gilt: Wer sich mit Schwung einbringt, kann auch schnell Verantwortung übernehmen oder für politische Ämter kandidieren.

Alternativ/ergänzend kann man Druck von unten auf gewählte Politikerinnen und Politiker ausüben, und in Bürgersprechstunden, bei öffentlichen Veranstaltungen oder Demonstrationen, per Mail oder Unterschriftensammlung immer wieder klarmachen, dass keine Wahl mehr ohne ein überzeugendes Angebot in Sachen Klimaschutz gewonnen werden kann. Gute Beispiele für eine progressive Klimapolitik hingegen kann man öffentlich unterstützen, durch Organisation von Veranstaltungen oder Mund-zu-Mund-Propaganda weitertragen und zur Nachahmung anregen. Gerade wenn man der Meinung ist, die Grünen hätten das Thema Klimapolitik aus dem Blick verloren oder verfolgten zu wenig ambitionierte Ziele, kann man diese Meinung den Parteigremien und Mandatsträgerinnen und -trägern immer wider deutlich machen – oder sich gleich selbst in der Partei engagieren. Wenn alle, die jetzt für eine Klimaliste streiten, bei den Grünen einträten und auf die bestehenden Strukturen und das Know-how einer etablierten Partei zurückgreifen könnten, hätte dies selbstverständlich einen Effekt.

Und natürlich bietet es sich auch an, im direkten Gespräch im Familien- oder Freundeskreis, bei Bekannten oder in der Nachbarschaft immer wieder das Thema Klimaschutz anzusprechen und für entschlossenes Handeln aller zu werben. Je nach Konstellation besteht womöglich auch die Chance, beim Arbeitgeber für Klimaschutz zu werben, als Selbstständiger das eigene Unternehmen auf Verbesserungspotenziale abzuklopfen oder – in einem vom Fachkräftemangel geprägten eher Arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsmarkt – den eigenen Arbeitsplatz auch unter dem Aspekt der Klimaverträglichkeit auszusuchen. Und letztlich steht uns allen auch durch unser Konsum-, Mobilitäts-, Investitions- und Wahlverhalten ein mächtiger Hebel in Sachen Klimaschutz zu Verfügung.

All das – und noch viel mehr – ist in meinen Augen zielführender, als aus dem Nichts unter großem Zeitdruck eine neue Partei aufzubauen. Oder diese mit einer Unterschrift, einer Spende oder einem Kreuz auf dem Wahlzettel zu unterstützen.

Veröffentlicht von Moritz Pfeiffer

Radsport, Geschichte und Zukunft - das sind meine Themen.

2 Kommentare zu „02: Braucht es eine neue Klimapartei?

  1. Lieber Moritz,

    du hast völlig recht, das Problem ist eigentlich denke ich ein anderes. Das Problem ist Basispolitik, die existiert nur eingeschränkt obwohl wir Grünen uns darauf verschrieben haben Basisdemokratisch zu sein. Ich sehe das bei unserem Landesverband in Mittelhessen, es gibt Pöstchenschieberei und Amtasanhäufung bei ambitionierten Parteifreunden, Grabenkämpfe zwischen Ortsvereinen und zwischen Fraktion und Vorstand, weil jeder besser weiß wie grüne Politik funktioniert. Engagierte neue Leute werden ausgebremst, wenn sie den alten Politik erfahrenen gefährlich werden könnten. Die neuen Mitglieder sind relativ schnell gefrustet und ziehen sich zurück. Ich bin mir nicht sicher ob das nur bei uns so ist, ich fürchte aber nicht, wenn wir Grüne als Partei aller Meinungen von Aktivist bis politisch wichtig innen so auftreten wundert es nicht, das einige denken außerhalb der Grünen passiert mehr Klimaschutz. Letztendlich liegt die offensichtliche Kritik darin, das diese Menschen es den Grünen nicht zutrauen und das sollte uns mehr zu denken geben als die Stimmen die vordergründig verloren gehen!

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    1. Liebe Isabella,
      vielen Dank für Deinen Kommentar. Im Tübinger Kreisverband habe ich das, was Du beschreibst, bislang nicht erlebt, aber wie es auf Landesebene aussieht, kann ich nicht sagen. Ich fürchte allerdings, dass das, was Du beschreibst, nicht nur für die Grünen gilt, sondern auch für andere Parteien, Vereine, Initiativen etc. Ehrgeiz und breite Schultern stechen vermutlich nicht zu selten Engagement und guten Willen aus…
      Wichtig finde ich Deinen letzten Punkt, und der kommt zugegebenermaßen in meinem Blogbeitrag viel zu kurz: Die Tatsache, dass sich überhaupt eine Klimaliste gründet, sollte den in BaWü re- und agierenden Grünen zu denken geben (und nicht nur dort, sondern bundesweit).
      Viele Grüße
      Moritz

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